Querdenker Retreat 2019

ein Bericht von Janine Eichenberger und Govinda Hiemer

Die Open Mind Academy lud in diesem Jahr zum Querdenker Retreat auf die Klosterinsel Rheinau, nahe Schaffhausen /CH ein. Eine erlesene Auswahl an Referenten bot quer gedachte Geschichten aus den verschiedensten Ecken der Welt. So zum Beispiel das Künstlerkollektiv Leavinghomefunktion, die mit Motorrädern auf dem Landweg von Halle nach New York gefahren sind oder Johannes Gutmann, der die Geschichte vom Sonnentor erzählt hat. Für all die, die nicht dabei sein konnten hier ein kleiner Bericht der Veranstaltung.

Begonnen wird die Zusammenkunft mit einer Einleitung der Gastgeber und mit einer kleinen Meditation, damit nach der Anreise die Atmosphäre des Ruhe spendenden Klosters auch voll genossen werden kann. In kleinen Vorstellungsrunden lernen sich die Teilnehmer mit der Auflage kennen, dass keine Rollenbeschreibung in der Vorstellung genannt werden darf. Es geht von Beginn an um den Menschen selbst. Dann treten schon Leavinghomefunktion nach vorn und nehmen die Teilnehmer mit auf den Weg nach New York. Zweieinhalb Jahre dauerte die Reise, fast 1000 Pannen lagen auf dem Weg und die Erfahrungen aus erster Hand waren besonders wichtig. Auf der Reise fiel die Klasseneinteilung weg, die Rollen wurden nach Fähigkeiten aufgeteilt und Erkenntnisse am Abend gemeinsam diskutiert. Die wohl wichtigste Erkenntnis: Es geht immer weiter! Deshalb sollte man sich in aussichtslose Situationen begeben, um zu erleben wie es weiter geht. Stärke und Selbstwert des Teams sind auf den ersten Blick erkennbar und tolle Anekdoten einer abstrusen Reise boten beste Unterhaltung. 

So eingestimmt auf quere Gedanken referierte der Psychologe Prof. Dr. Allan Guggenbühl vom Institut für Konfliktmanagement und Mythodrama über die Kunst des Denkens und den Mensch als Wesen zwischen Traum und Wirklichkeit. Denken als ganzheitlicher Prozess umfasst dabei nicht nur die Gedanken selbst, sondern auch die Gefühle, das Umfeld und die Kraft der Imagination. Angestrengt im Sitzen zu denken beeinträchtigt demnach die Gedanken enorm. Körperliche Bewegung, gelegentliche Irritationen und eine leichte Zerstreutheit fördern hingegen die Kreativität und den Gedankenfluss. 

Unternehmensberatung anders gedacht. Markus Weber arbeitet als Unternehmensberater, nimmt sich eine Auszeit um mit dem Fahrrad nach Togo zu fahren und kommt verändert zurück. Den Sinn in seiner Arbeit suchend kann er fortan seine Stärken sinnvoll als CEO der Auticon AG einbringen, einer Unternehmensberatung, in der ausschließlich Menschen aus dem Autismusspektrum als Berater arbeiten. Hier können die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter bestmöglich genutzt werden. Eine Kommunikationsschulung in direkter Kommunikation (denn eine klare Kommunikation ist für Autisten sehr wichtig)  gibt es für die Kunden kostenfrei dazu. Den Fokus auf die Stärken der Mitarbeiter zu legen, legt er dabei allen Geschäftsführern nahe. Der oft noch geläufige Fokus auf die Schwächen der Mitarbeiter unterbinde deren Entfaltungspotenzial. Sein Aufruf: Stellt mehr Querdenker ein!

Charismatisch und voller Begeisterung berichtet Hubert Rhomberg, CEO der Rhomberg Holding, von seiner Disruption des innovationsfeindlichen Baugewerbes. Seine Vision des klimaneutralen Bauens verfolgt nicht bloß den Gedanken der Kollaboration und Kreislaufwirtschaft. Wissen wird in seinem Unternehmen weltweit geteilt, der ökologische Rucksack der verbauten Materialien wird bedacht und die digital unterstützte Auslastung von Maschinen ist nur ein kleiner Teil der neu genutzten Sensoren und Datenmengen. Neue Technologien erfordern neue Ansätze und werden viel bewegen. Letztlich sind wir es jedoch, die unser Ego aufgeben und uns entwickeln sollten. Nur welche Aufgaben Führungskräfte in Zukunft tatsächlich erwarten, weiss er noch nicht. 

Nach diesen vier Impulsen durften sich die Teilnehmer in kleine Gruppen aufteilen und in so genannten Barcamps mit den Referenten zusammen kommen, um sich vertieft mit den angesprochenen Themen zu beschäftigen. Die Erfahrungen der Teilnehmer bereichern dabei die Beiträge und Erfahrungen der Referenten und im Gespräch kommen ganz neue Erkenntnisse zu tage. 

Nach gesundem und nahrhaftem Mittagessen ging es dann mit Klaus-Dieter Koch von Brandtrust weiter. Die Marke als Bedeutungssystem übernimmt eine wichtige Rolle. Als Assoziationsmanagement genutzt wird Marken über Erinnerungen eine Bedeutung beigemessen. Brandtrust unterteilt diesen Prozess in Werterzeugung, Wahrnehmung, Wertschätzung und Wertschöpfung. Das enorme Wertschätzungsdefizit in dieser Welt wird dabei als Kern der Arbeit gesehen, und eine Marke kämpft dagegen an. Doch was hat eigentlich Liebe mit Markenbildung zu tun? 

Kaivalya Kashyap stellt sich der Frage, wie man mit 100 Menschen zusammen arbeiten kann, ohne sie zu dominieren. Denn selbstloses Handeln kann die Welt voran bringen, doch gerade „Leadership ohne Ego“ ist noch selten anzutreffen. Im Gegensatz zu Hubert Rhomberg rät Kaivalya jedoch davon ab, gegen das Ego anzukämpfen. Er rät stattdessen zu anderen Handlungen, sich selbst zurück zu nehmen und für Klarheit zu sorgen. Wer sich bewusst ist, wie viel bereits von anderen, zum Beispiel den Eltern, in die Schaffung der eigenen Ausgangssituation investiert wurde, kann dies besser wertschätzen und wird so selbst Wertschätzung ernten. Und wie viel deiner Zeit möchtest du nutzen, um etwas zurück zu geben? 

Die Welt der Startups wird beim Querdenker Retreat hauptsächlich von Charles Flükiger von Inn Spire vertreten. In seinem Referat über die Ambidextrie erklärt er die grundlegenden Funktionen der Amygdala und wie er Innovationsbremsen löst. Er unterstreicht die Wichtigkeit des „first followers“ und geht ausführlich auf das Ellsberg Paradoxon ein. Dies besagt, dass altbekanntes Übel dem Unbekannten gern vorgezogen wird. Als Hilfestellung für eben diesen Umgang mit dem Unbekannten wird noch kurz die Effectuation von Dr. Saras Sarasvathy vorgestellt, und dann geht es auch schon erneut in die Barcamps um in kleineren Gruppen mit den Referenten zu diskutieren und die Themen zu vertiefen. Jedem Teilnehmer steht dabei offen, auch selbst ein Barcamp anzubieten. 

Krönender Abschluss der Veranstaltung war der Vortrag von Johannes Gutmann, dem Gründer von Sonnentor. Sein lebensbejahendes Auftreten brachte Farbe und Schwung in österreichischer Lederhose in den Raum, seine Begeisterung war nahezu greifbar. Er hat die Gemeinwohlökonomie als Steckenpferd seiner Unternehmung gewählt und strebt an Anders, Besser und Cleverer zu handeln als die anderen. Das Sonnentor als Symbol der Freiheit wählend, war er der Zeit noch weit voraus, als er bewusst biologisch anbaute. Doch die Welt entwickelt sich mit, und so wird Johannes vom Spinner zum Winner. Und alles was er dafür tut ist freundlich und offen zu sein, denn die besten Ideen sind oft nicht seine eigenen. Jedoch bietet der direkte Kontakt zum Kunden den optimalen Innovationsmotor und so kann Sonnentor das bieten, was ihre Kunden wirklich brauchen: Nähe, Liebe und Begeisterung. #EsGehtAuchAnders

Das Fazit nach solch einem Tag voller Eindrücke ist, dass die Erkenntnisse noch lange nachhallen werden. Es war ein sehr inspirierender Tag, der sowohl im geschäftlichen als auch im privaten Bereich den Blick auf das Wesentliche gestärkt hat. Menschlichkeit, der Umgang mit dem Ego und bewusstes, achtsames Handeln gehören wohl in jedem Aspekt zum Leben dazu. Mit dabei waren Menschen, die mit Leidenschaft gemeinsam wachsen, sich ernsthaft mit aktuellen Themen auseinander setzen, die Welt aus neuen Blickwinkeln betrachten und ein Stückchen besser machen. Ist ihr Interesse geweckt? Erweitern auch sie ihre Komfortzone und lassen sich im nächsten Jahr beim Querdenker Retreat der www.open-mind-academy.ch vom Austausch mit herausragenden Persönlichkeiten inspirieren.

 

Ingo Stoll von #MoTcast hat insgesamt 5 der Referenten interviewt. Hört hier selber rein: